Es waren keine freundlichen Umstände, in die [Peter] Josef am 19.
Juli 1860 in Bengel hineingeboren wurde: Der Vater mittellos, verschuldet, ohne
regelmäßiges Einkommen und seine Geschwister - der älteste Bruder war bereits
17 Jahre - empfanden den Nachzügler, auch angesichts der wirtschaftlichen
Situation, als "unnötig". Sein Taufpate war Peter Josef Schlöder von
der Mühle Springiersbach, der 1847 auch als Bürge bei einem Darlehen an Josefs
Vater in Höhe von 26 Talern genannt worden war.
Den Brand des Dorfes Bengel im Jahre 1865 und die Choleraepidemie
im nachfolgenden Jahr dürfte er als 5- oder 6-Jähriger wohl schon bewusst
erlebt haben. Wie sich vor dem Hintergrund der dörflichen Katastrophen die
Qualität der schulischen Bildung von Josef im Einzelnen gestaltet hat, ist
nicht bekannt. Vermutlich als Zwanzigjähriger folgte er seinen Brüdern Philipp
und Peter in das Ruhrgebiet. Zunächst wohnte er in Saarn /b. Mülheim (Ruhr),
später in Ruhrort /b. Duisburg. Mit 29 Jahren glaubte er als tüchtiger und
strebsamer Fabrikarbeiter mit Führungsqualitäten eine Familie ernähren zu
können und heiratete am 28. Okt. 1889 in Bengel die Margarethe Klasen, Tochter
eines Kleinbauern. Ein Jahr später, am 5. Dez. 1890, wurde sein Sohn
Matthias geboren. Die weiteren Stationen seines beruflichen Werdegangs lassen sich an den Geburtsorten seiner
Kinder ablesen: Bernhard, *7. 5 1892 in Nassau (Lahn) [1917 bei Verdun
gefallen], Gertrud, *5. 12. 1893 in Osnabrück, Maria , *1895 in Osnabrück [mit
2 Jahren gestorben].
Er hatte sich zum Obermeister der Martinsöfen hochgearbeitet und
war jetzt ein gesuchter Stahlkocher. Im September 1895 wechselte er zum letzten
Mal seinen Wohnsitz und zog nach Düsseldorf-Rath.
Für 250 Mark festes Monatsgehalt und freie Wohnung nahm er eine Stelle als Obermeister im "Rather Metallwerk" an. Offenbar war ihm in Aussicht gestellt worden, 1. Obermeister werden zu können. Es dürfte sich dabei um eine Art Betriebsleiter gehandelt haben, eine Position, die heute von einem Diplom-Ingenieur besetzt ist. |
Telegramm-Adresse Spiralrohr |
Rath, 5. September 1895 bei Düsseldorf |
Osnabrück
Unter Bezugnahme auf Ihre mit unserem
Betriebschef Herrn Kracht geführten Korrespondenz benachrichtigen wir Sie
hierdurch, daß wir bereit sind, Sie als Obermeister für unser Martinwerk zu
engagiren und zwar unter folgenden Bedingungen.
Sie verpflichten sich in Ihrer Eigenschaft
als Obermeister gewissenhaft und pünktlich Ihre Arbeit zu verrichten und in
allen Teilen Ihre Kenntnisse im Interesse unserer Firma zu verwerten, sowie
über Alles, was in der Fabrikation vorgeht, gegen Fremde Schweigen zu bewahren;
dagegen gewähren wir Ihnen Mk 250- fixes Gehalt pro Monat und freie Wohnung
oder für letzteres eventuell eine Entschädigung von Mk 450 pro Jahr jedoch nach
unserer Wahl.
Die Ihnen entstehenden Umzugskosten von
dort nach hier vergüten wir Ihnen mit Mk 200- als einmalige Vergütung. Ihr
Eintritt bei uns hat am 15. November zu erfolgen, was Ihnen ja möglich ist.
Dieses Abkommen ist auf unbestimmte Zeit
beiderseits mit vierteljährlicher Kündigung getroffen und sehen wir Ihrer
Annahmebestätigung mit den vorerwähnten Engagements-Bedingungen mit Wendung der
Post entgegen.
Achtungsvoll!
ppa. Rather Metallwerk
vorm. Ehrhardt & Heye
(gez.) A. Theuerkauf C. Franke
Nicht ganze vier Jahre später - das Unternehmen hieß jetzt "Rheinische Metallwaaren- und Maschinenfabrik" - hing die folgende Bekanntmachung am Schwarzen Brett:
Rheinische
Metallwaaren- und Maschinenfabrik
Die Direktion
Rath, den 30.6.99 (gez.) Kracht
Peter Josef hatte mit 39 Jahren aus eigener Kraft - also nur mit
Fleiß, Ausdauer, natürlicher Intelligenz - und wohl auch mit entsprechendem Durchsetzungsvermögen - unvergleichlich
viel mehr erreicht als seiner Herkunft und Ausbildung entsprach. Er besaß zwar
nicht die Statussymbole von Chauffeur und Kutsche, aber er hatte doch einen
Laufburschen, der mittags zu Hause sein Essen abholte! Als anerkannter
Stahlfachmann war er in den Jahren 1902-1904 Leiter der Montagearbeiten von
deutschen Martinsöfen in Turin und Konstantinopel. Welche Erinnerungen an seine
harte Jugend mögen ihm wohl erschienen sein, als er als Vertreter deutscher
Ingenieurskunst von den Honoratioren Konstantinopels mit türkischem Gepränge
offiziell empfangen wurde? Obwohl der Beruf ihn ganz in Anspruch nahm -
besonders in der Kriegszeit 1914-1918 - engagierte er sich auch im öffentlichen
Bereich: Er führte nach dem Krieg die Ortsgruppe der kath. Zentrumspartei und
war Mitglied des Kirchenvorstandes von St. Josef in Düsseldorf-Rath. Seine
wirtschaftliche Situation gestattete es ihm, 1913 ein großes Haus auf der
Oberrather Str. 48 zu erwerben, so recht geeignet für eine große Familie. Diese
hatte sich nämlich zwischenzeitlich auf zehn Familienmitglieder vergrößert:
Georg, *5.7.1899, Margarethe, *27.9.1901, Philipp, *6.1.1904, Peter Josef,
*26.9.1906 und Heinz, *11.2.1912.
Am Dreikönigstag 1927 starb er in Rath nach einer Operation und
aufgrund gesundheitlicher Schäden seiner langen Stahlkochertätigkeit. Die
Worte, die in den verschiedenen Nachrufen gewählt wurden, geben uns einen
Eindruck jener Zeit, aber wohl doch auch ein scharfes Profil seiner Persönlichkeit.
Die Zentrumspartei würdigte sein Wirken so: "Wo er stand, da stand ein
ganzer Mann. Er war es, der selbst unter den schwierigen Verhältnissen der
öffentlichen Wahl [in der Zeit der Weimarer Republik] die Zentrumspartei in
Düsseldorf-Rath organisierte, mit Klugheit und Besonnenheit."
Der Kirchenvorstand von St. Josef: "Wir verlieren einen unserer Besten und
Treuesten. Als Biedermann von echtem Schrot und Korn bleibt er unserem
dankbaren Gedenken unvergeßlich." Die Rheinische Metallwaaren- und
Maschinenfabrik würdigte sein Wirken: "Ganz besonders während der
Kriegszeit, die große Anforderungen an sein Können und seine Tatkraft stellte,
leistete er uns in vorbildlicher Weise hervorragende Dienste." Und
schließlich sein Sohn [Peter] Josef, der beim Tod des Vaters 20 Jahre alt war,
erinnerte sich: "In seinem religiösen Leben ein ganz katholischer Mann,
Vorbild für seine Arbeiter und geehrt und geachtet von seinen Freunden. In den
wichtigsten Organisationen stand er als Katholik der Tat an führender Stelle.
Möge seine Josefsglocke von St. Josef Rath ihn uns in Erinnerung bringen und
uns mit heißem Dankgefühl erfüllen für das, was er uns war - Vater und Vorbild.